Manfred W.K. Fischer: Der Autor sitzt in seinem Rollstuhl auf einer Aussichtsrampe und genießt den weiten Blick in ein unter ihm liegendes Flusstal...

Gacher Blick - der liegt hier dem Ausflügler zu Füßen.

Foto: Manfred Fischer
aus Heft 3/2017 – Reisen
Manfred W. K. Fischer

Hoch hinaus: Kaunertal barrierefrei

Auf zum Karlesjoch – höchster Aussichtsplatz für Rollstuhlfahrer in den österreichischen Alpen auf 3108 Meter

Das Kaunertal in den Tiroler Bergen bietet barrierefreie Bergerlebnisse der besonderen Art – im Sommer wie im Winter. Wir haben das Tal im Sommer mit dem Rollstuhl erkundet.

Ausgangspunkt war das barrierefreie Hotel Weisseespitze der Familie Hafele (mehr zum Hotel am Ende des Berichts). Wir wollten mit Ausflügen in die Umgebung das Tal erkunden. Bezüglich Barrierefreiheit haben wir uns im Netz schlau gemacht.

Gacher Blick und Piller Moor

Der erste Weg führt uns zum Gachen Blick, einer Aussichtsplattform in 1558 Meter Höhe. Die Plattform führt weg vom Berg und ist über eine Rampe leicht mit dem Rollstuhl erreichbar. Man hat einen wunderbaren Blick ins Obere Inntal, die Ortschaft Fließ mit ihrer beeindruckenden Barbarakirche und die umliegenden Berge mit ihren Bergwiesen und Wäldern. Der „Gache Blick“ war seit jeher eine Landmarke. Im Inntal verlief zur Römerzeit die „Via Claudia Augusta“, die die Adria mit Augsburg verband. Die Pillerhöhe diente von 1400 vor bis etwa 400 nach Christus als Kultplatz. Im Naturparkhaus Kaunergrat befindet sich eine multivisuelle Ausstellung über die Besonderheiten des Naturparks.

Danach geht’s im Auto etwas bergabwärts zum Piller Moor, einem Hochmoor, das während der letzten Eiszeit entstand. Dieses ist seit 2015 großteils berollbar. Man kommt im Rollstuhl nahe an die Pflanzen heran. Botaniker zählen zirka 150 verschiedene Arten von Blütenpflanzen und Moosen. Beeindruckend, wenn man sich Zeit nimmt, diese Vielfalt zu entdecken.

Gletscherstraße zum Karlesjoch

Am nächsten Tag begeben wir uns vom Hotel aus in die andere Richtung zum Talschluss, an dessen Ende die Auffahrt zum Karlesjoch auf uns wartet. Mit dem Auto durchfahren wir dabei alle sechs Höhenstufen der Alpen. Die Landschaft ändert sich dabei sehr rasch von Wiesen, Äckern und Laubwald über steile Bergwiesen und Nadelwald zu alpinem Pionierrasen, auf dem im Sommer Kühe und Schafe weiden. Schließlich sind wir am Gepatschferner und am Weißseeferner. Diese Gletscher gehören zu den Ötztaler Alpen, die die größte zusammenhängende Gletscherfläche der Ostalpen bilden. Wie das Prospekt verspricht, wird jede Fahrt zu einem einzigartigen Erlebnis, weil gerade die abwechslungsreiche Tierwelt mit Murmeltieren, Gämsen und Steinböcken nicht immer in ihrer gesamten Vielfalt zu entdecken ist.

Bald erreichen wir den Gepatsch Stausee mit 2,6 Quadratkilometer Wasserfläche. Ihn begrenzt ein Steinschüttdamm mit 600 Meter Länge und 153 Meter Höhe. Der See sammelt die Schmelzwässer des Gepatsch- und Weißseeferners. Zahlreiche Bäche stürzen über spektakuläre Wasserfälle zum See hinunter. Die Straße drängt sich zwischen See und Berghang in die Landschaft. Manchmal gerade so breit, dass zwei Autos kaum aneinander vorbeikommen.

Bei etwa 2350 Höhenmetern erkennt man direkt neben der Straße einen Gletscherschliff – bei der Bergfahrt rechts der Straße. Die Rillen im Felsen zeigen talwärts. Es sind die Spuren des über Jahrtausende fließenden Eises, das auf die Felsen drückte und die Rillen einschrammte.

In der Mitte des Weges erreichen wir den Weißsee, den man mit Hilfe im Rollstuhl umrunden kann. Informationstafeln erzählen Legenden zum See, die sich um Hirten und eine legendäre Frau vom See drehen. Überall säumen blühende Pflanzen die Wege. 

Auf 2750 Meter Höhe endet die Gletscherstraße. Am Parkplatz sind Behindertenparkplätze gekennzeichnet und im angrenzenden Gebäude befindet sich ein Behinderten-WC. Die Karlesjochbahn ist in Sichtweite.

Ich genieße jetzt im Gletscherrestaurant erst einmal den Rundblick und gönne mir einen Cappuccino. Meine gehfähigen Begleiter machen sich zur begehbaren Gletscherspalte auf – dazu ist gutes Schuhwerk empfohlen.

Dreiländerblick – hinauf auf 3108 Meter

Gleich nachdem meine Begleiter von der Gletscher-Expedition retour sind, geht’s in einer berollbaren Gondel der Karlesjochbahn ganz hinauf. Dort verläuft die Staatsgrenze zwischen Italien und Österreich, erkennbar durch eine rote Linie. So sind zwei meiner Rollstuhlräder zeitweise in Italien und zwei in Österreich. Dreiländerblick heißt die Aussichtsplattform deswegen, weil man auch in die Schweiz sehen kann. Etwas entfernt liegt der mondäne Wintersportort St. Moritz. Es ist herrlich, sich hier am Karlesjoch den Bergwind um die Ohren wehen zu lassen! Oh ja! REKORD: Mit 3108 Meter Seehöhe ist das Karlesjoch die höchste Aussichtsplattform Österreichs, die man im Rollstuhl auf konventionellem Weg erreichen kann.

Hotel Weisseespitze

Nach dem gelungenen Rekord geht es zurück ins Hotel Weisseespitze. Dort wird unsere Höchstleistung mit meinen Freunden an der barrierefreien Bar für Rollstuhlfahrer gefeiert. Das Hotel ist beispielhaft für barrierefreie Gastlichkeit, denn es hat nicht nur die längste Rolli-Bar der Alpen, sondern auch einen barrierefreien Wellness-Bereich.

Barrierefreie Zimmer sind selbstverständlich. Beim Einchecken bekommt man als Rollstuhlfahrer einen Fragebogen, in den man eintragen kann, was man benötigt – etwa zusätzliche Haltegriffe, ein erhöhtes Bett, Badelifter, usw. Dies wird dann umgehend bereitgestellt. Als behinderter Kunde wird einem nie das Gefühl vermittelt, irgendein Hilfsmittel extra zu benötigen – alles gehört selbstverständlich zum Service.

Auch als zum Abendessen gerade kein mit dem Rollstuhl unterfahrbarer Tisch frei war, fand die Kellnerin umgehend Abhilfe. Sie brachte einfach vier Ziegelsteine, die unter die Tischbeine geschoben wurden – und die Sache war erledigt. Außerdem verfügt das Haus für den Notfall über eine fixe Rampe zur Evakuierung, auch aus den oberen Stockwerken.

Rolli-Roadbook

Darüber hinaus wird ein „Rolli-Roadbook“ zur Verfügung gestellt. In diesem sind etwa 50 Rollstuhl- und Handbike-Touren zusammengestellt, die man in der Gegend unternehmen kann. Darin werden die Touren genau beschrieben. Unterteilt wird in Rollstuhl, E-Rolli, Swiss-Trac (Zuggerät für Rollstuhl) und Handbike – leicht, mittel schwer. Man kann sich auch einen Swiss-Trac inklusive Rollstuhl mieten, sich auf die Tour begeben und neue Erfahrungen sammeln. Das ausgezeichnete Service sowie das Rolli-Roadbook mit zahlreichen Vorschlägen für Rolli-Wanderungen ohne Stufen und Stolpersteine laden zum Wiederkommen ein, da man Zeit braucht, um auch nur einen Teil der Touren machen zu können.

Barrierefrei im Kaunertal 

www.kaunertal.com/de/aktivitaeten/barrierefrei 

Hotel Weisseespitze 

www.weisseespitze.com/hotel.html 

 

Manfred Fischer ist rollstuhlfahrender Journalist und Sensibilisierungstrainer. Er lebt mit seiner Familie in Ostermiething in Oberösterreich.