Kai Markram mit seinen Eltern am Strand - Foto: Darrin Vanselow/Mater

 

aus Heft 1/2015 – Report
Maia Szalavitz

Eine zu intensive Welt

„Was geht im Kopf meines Sohnes mit Autismus vor?“

„Was geht im Kopf meines Sohnes mit Autismus vor?“ Dieses Rätsel versucht einer der führenden Hirnforscher mit der Intense-World-Theory zu klären.

Etwas stimmte mit Kai Markram nicht, als er zum ersten Mal seinen Kopf emporreckte und neugierig in die Welt blickte – fünf Tage nach seiner Geburt. Kai war ein außergewöhnlich waches Baby, ganz anders als seine Schwestern, die viel später begonnen hatten, sich für ihre Umwelt zu interessieren. Als der Junge laufen konnte, wollte er partout nicht mehr stillhalten. Ständig musste jemand auf ihn aufpassen, damit er sich nicht verletzte. „Sein Akku war nicht leerzukriegen“, erzählt seine Schwester Kali. Und es ging nicht bloß um einen kindlichen Energieüberschuss: Wenn seine Eltern ihn im Zaum halten wollten, bekam er Tobsuchtsanfälle. Kai war ein soziales Rätsel: Manchmal schottete er sich komplett ab, um dann in anderen Momenten auf Fremde zuzurennen und sie zu umarmen.

Mit so einem Kind zurechtzukommen, wäre sicher für alle Eltern mühsam. Für Kais Vater war es geradezu frustrierend – denn Henry Markram ist einer der führenden Hirnforscher der Welt. Er ist der Mann hinter Europas eine Milliarde Euro teurem Human Brain Project an der ETH Lausanne. Doch wenn es um Kais Probleme ging, fühlte er sich machtlos. „Als Vater und Hirnforscher wusste ich nicht, was ich tun sollte“, sagt Markram. So kam es, dass Kais Verhalten – das später als Autismus diagnostiziert wurde – die Karriere seines Vaters von Grund auf veränderte: Henry Markram entwickelte eine neue Theorie über Autismus. 

Stellen Sie sich vor, Sie kämen von einem fremden Planeten, auf dem alles viel langsamer und ruhiger zugeht. Plötzlich werden Sie hineingeworfen in eine wirre Welt, in der die Sinne permanent überfordert werden. Die Augen der Mutter: gleißend helles Flackern. Die Stimme des Vaters: ein Presslufthammer. Der süße kleine Strampler, den alle so weich finden? Rau wie Sandpapier. Alle Liebe, alle Sorge der Eltern? Ein Bombardement aus unverständlichen Sinneseindrücken. So, sagen Henry Markram und seine Frau Kamila, fühle es sich an, autistisch zu sein. Die beiden nennen es: Intense-World-Syndrome.