aus Heft 1/2015 – Fachthema
Georg Theunissen

Schule und Autismus

Anregungen zur Wertschätzung „autistischer Intelligenz“ als Grundlage für die pädagogische Praxis.

Um autistische Kinder und Jugendliche angemessen zu unterrichten, bedarf es eines zeitgemäßen Verständnisses über Autismus. Der vorliegende Beitrag soll zum Verstehen autistischer Schüler und Schülerinnen beitragen und dazu sensibilisieren, sie mit ihrer „autistischen Intelligenz“ wertzuschätzen. Der Blick für spezifische Fähigkeiten von Personen aus dem Autismus-Spektrum ist jahrelang vernachlässigt worden – stand doch die Betrachtung von Autismus im Zeichen eines Krankheits- und Defizitmodells. Inzwischen zeichnet sich ein Umbruch ab, der vor allem von autistischen Personen als Experten in eigener Sache auf den Weg gebracht wurde. Daran anzuknüpfen, ist für einen qualitativ hochwertigen Unterricht unabdingbar.

Neuere Statistiken aus führenden Industrienationen zeigen auf, dass Autismus nicht mehr als eine eher seltene Behinderungsform in Erscheinung tritt. Wie in den USA wird heute ebenso in Großbritannien Autismus vier- bis fünfmal häufiger diagnostiziert als vor etwa 40 Jahren. Auch in Deutschland steigen die Zahlen kontinuierlich an. Derzeit wird vermutet, dass die Prävalenz unabhängig von sozio-ökonomischen Einflussfaktoren bei etwa 1 % liegt. Zudem wird davon ausgegangen, dass der Anteil von autistischen Personen, die zugleich als geistig behindert gelten, weitaus geringer ist als noch vor wenigen Jahren angenommen wurde. 

Daher ist es begrüßenswert, wenn die Kultusministerkonferenz empfiehlt, autistische Kinder und Jugendliche möglichst in einen gemeinsamen Unterricht mit nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern einzubeziehen. Damit wird nicht mehr die Förderschule als der geeignete Lernort für autistische Kinder und Jugendliche präferiert. Vielmehr soll die sonderpädagogische Förderung in allgemeinen Schulen erfolgen.

Das aber bedeutet, dass sich sowohl die schulische Heil- oder Sonderpädagogik als auch die allgemeine Schulpädagogik mit Autismus befassen muss. Eine solche Auseinandersetzung kann allerdings nur dann zu einer konstruktiven Praxis gereichen, wenn ein zeitgemäßes Verständnis in Verbindung mit aktuellen Befunden in Bezug auf Autismus zur Kenntnis genommen wird.